Sibylle Rommelspacher
Resilienz nach dem Umbruch – wie wir psychische Widerstandskraft (wieder) entwickeln können
Einleitung
Viele Menschen erleben nach einer Krebserkrankung nicht nur körperliche Erschöpfung, sondern auch eine tiefgreifende innere Erschütterung. Lebenspläne stehen infrage, Sicherheiten sind erschüttert, und auch nach dem medizinischen "grünen Licht" bleibt das Gefühl, dass nichts mehr ist, wie es war. In diesem Kontext wird oft von Resilienz gesprochen – jener psychischen Widerstandskraft, die helfen soll, mit Belastungen umzugehen. Doch was genau bedeutet Resilienz eigentlich? Und wie lässt sie sich nach einem gravierenden Einschnitt wie einer Krebserkrankung neu entwickeln oder stärken?
Dieser Beitrag beleuchtet das Konzept der Resilienz aus wissenschaftlicher Perspektive und zeigt Wege auf, wie Betroffene einen individuellen Zugang dazu finden können – jenseits von Durchhalteparolen oder Selbstoptimierung.
Was ist Resilienz – und was nicht?
Resilienz bezeichnet in der Psychologie die Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände psychisch stabil zu halten oder nach Belastungen wieder in eine gesunde Balance zurückzufinden. Sie ist kein angeborener Wesenszug, sondern ein dynamischer Anpassungsprozess, der sich entwickeln, verändern und stärken lässt.
Dabei ist Resilienz nicht gleichbedeutend mit Härte, Funktionstüchtigkeit oder gar mit "positivem Denken". Vielmehr geht es um eine innere Flexibilität, um die Fähigkeit, auf Krisen mit Selbstwahrnehmung, Anpassung und konstruktiver Neuorientierung zu reagieren – und dabei die eigenen Grenzen zu achten. In der Genesungszeit nach Krebs bedeutet das oft auch: sich zu erlauben, nicht "wieder ganz die Alte oder der Alte" sein zu müssen.
Was stärkt Resilienz laut Forschung?
Die Forschung nennt eine Vielzahl von Faktoren, die zur Resilienz beitragen. Besonders bedeutsam sind dabei:
- Emotionale Selbstwahrnehmung: Die Fähigkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen, anzunehmen und in Worte zu fassen, gilt als Grundpfeiler psychischer Stabilität. Sie hilft dabei, Überforderung früh zu erkennen und achtsam gegenzusteuern.
- Soziale Verbundenheit: Der regelmäßige, verlässliche Kontakt zu wohlwollenden Menschen – ob Partner:in, Freund:in oder Therapeut:in – wirkt stabilisierend. Selbst kurze Momente echter Empathie ("Mikromomente") können emotional nährend wirken.
- Selbstbestimmung und Sinn: Wer auch in schwierigen Phasen erlebt, dass er oder sie Handlungsspielräume hat, Entscheidungen treffen kann und einen Sinn im eigenen Tun erkennt, stärkt damit seine Resilienz nachhaltig.
- Körperliche Selbstfürsorge: Resilienz ist nicht nur mental. Bewegung, Ernährung, Schlaf und Stressregulation bilden die physiologische Grundlage, auf der psychische Anpassungsfähigkeit wachsen kann.
Resilienz nach der Erkrankung – was sich verändert
Nach einer Krebserkrankung ist das Bedürfnis nach Stabilität besonders groß. Doch gerade dann erleben viele Menschen, dass die gewohnten inneren Bewältigungsmuster nicht mehr greifen. Die Erfahrung von Kontrollverlust, existenzieller Bedrohung oder körperlicher Veränderung verlangt eine neue Anpassung – oft auf mehreren Ebenen gleichzeitig.
Resilienz in dieser Phase bedeutet nicht, möglichst schnell wieder "funktionieren" zu wollen. Vielmehr geht es darum, mit Ambivalenz, Unsicherheit und langsamer Neuorientierung umgehen zu lernen. Hoffnung spielt dabei eine Rolle – aber nicht im Sinne von Zweckoptimismus, sondern als leise, tragende Grundhaltung: Es gibt Wege, auch wenn ich sie heute noch nicht sehen kann.
Was Coaching beitragen kann (und was nicht)
Coaching kann in dieser Phase ein geschützter Raum sein, um innere Prozesse zu reflektieren, neue Perspektiven zu entwickeln und wieder Zugang zu eigenen Ressourcen zu finden. Dabei geht es nicht um Zielerreichung im klassischen Sinne, sondern um Sinnklärung, Rollenarbeit, Werteorientierung – und um eine Haltung der Selbstannahme.
Ein professionelles, onkosensibles Coaching arbeitet nicht mit psychologischen Tricks oder schnellen Lösungen. Es setzt auf Beziehung, Resonanz und strukturiertes Denken – auf die Stärkung von Selbstwirksamkeit durch Verstehen, nicht durch Appelle.
Fazit: Resilienz braucht Beziehung, Kontext und Zeit
Resilienz ist kein Trainingsziel, sondern ein lebendiger, kontextabhängiger Prozess. Menschen nach einer Krebserkrankung brauchen Zeit, Raum und passende Resonanz, um ihre Form der psychischen Stärke (wieder) zu entdecken. Manchmal geschieht das leise – in einem klärenden Gespräch, einem wertschätzenden Blick, einer ehrlichen Frage. Coaching kann diesen Raum öffnen – ohne zu drängen, aber mit tragfähiger Präsenz.
Reflexionsimpuls
Welche inneren und äußeren Ressourcen haben mir in schwierigen Momenten geholfen? Was ist davon heute noch spürbar – und was könnte ich neu entwickeln?
Manches lässt sich im stillen Nachdenken bewegen. Und manches im Dialog. Beides darf Raum haben.